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Gerichtliche Entscheidung zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen während Corona-Zeiten

Rechtstipp Corona ZwangsvollstreckungErste gerichtliche Entscheidung zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen während Corona-Zeiten

Gerichtsvollzieher darf eine Zwangsräumung nicht alleine mit dem Verweis auf den Corona-Virus ablehnen

Sachverhalt:

Der Mieter hatte über seinen Anwalt einen vollstreckbaren Titel zur Räumung der Wohnung gegen seinen Mieter erwirkt. Am 16.04.2020 beauftragte der Anwalt den zuständigen Gerichtsvollzieher mit der Zwangsräumung aufgrund des vorliegenden Versäumnisurteils des Amtsgerichts Fulda vom 27.02.2020 mit dem Auftrag, baldmöglichst einen Räumungstermin zu bestimmen.

Der Gerichtsvollzieher hat am 21.04.2020 den Eingang des Auftrages bestätigt, aber im Folgenden darauf hingewiesen, dass die aktuell vorgeschriebenen Maßnahmen zur Eindämmung oder Verlangsamung einer Infektion mit dem Corona-Virus derzeit eine Terminierung einer Zwangsräumung nicht zuließe. Daher werde ein Termin erst bestimmt, wenn die Situation dies wieder ermöglicht.

Für den Gläubiger wurde am 29.04.2020 dagegen Erinnerung eingelegt und beantragt, den Gerichtsvollzieher anzuweisen, die Zwangsräumung des Schuldners unverzüglich zu terminieren und durchzuführen. Die Parteien wohnen im gleichen Hause, der Vermieter direkt in der Wohnung unterhalb des Räumungsschuldners. Es wurde für den Vermieter argumentiert, dass es auch zu Zeiten des Corona-Virus nicht sein könne, dass die Rechtspflege stillstehe. Eine Räumung könne auch unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln erfolgen. Außerdem zahlt der Räumungsschuldner seit mindestens vier Monaten keine Miete mehr, er randaliert nachts in der Wohnung, was immer wieder zu Ruhestörungen führt, im Folgenden gab es seitens des Räumungsschuldners u. a. erhebliche Drohungen, er bringe den Vermieter um, er verunreinigte die Hauswand mit Urin, am 08.04.2020 wurde gar Pyrotechnik in größerem Umfang auf dem Balkon des Räumungsschuldners gezündet, was zu einem Polizeieinsatz führte. Hausflur und Treppenhaus waren vermüllt und mit Gegenständen vollgestellt, die Ehefrau des Gläubigers mit den beiden gemeinsamen Kindern habe daher zwischenzeitlich das Haus verlassen und sind zu deren Mutter gezogen, weshalb unter Abwägung der Interessen aller beteiligten Personen die Zwangsräumung zumutbar sei. Der Gerichtsvollzieher half der Erinnerung nicht ab, weil durch die vorgeschriebenen Maßnahmen zur Vermeidung einer Infektion von ihm derzeit keine Vollstreckungshandlungen durchgeführt werden. Auch der Bundesvorstand des DGVB habe mitgeteilt, dass bei Durchführung einer Wohnungsräumung die Maßnahmen, die bundesweit gegen die Ausbreitung des Virus beschlossen worden seien, einzuhalten seien. In der Mitteilung wird sich im Wesentlichen auf die bekannten Hygiene- und Abstandsregeln bezogen, jeder Gerichtsvollzieher habe in oberster Priorität die Möglichkeit des vollumfänglichen Eigenschutzes zu prüfen, ebenso wie die gesellschaftliche Verantwortung gegen die Ausbreitung des Virus gegenüber Dritten. Wenn die Prüfung ergäbe, dass der Eigenschutz und der Schutz Dritter (Kontaktverbot) nicht gewährleistet werden könne, könne aus Sicht des Verbandes eine Vollstreckungsmaßnahme nicht durchgeführt werden. Der Gerichtsvollzieher führte zudem aus, dass unabhängig von der allgemeinen Problematik alleine die Anzahl der bei der Räumung beteiligten Personen (Gerichtsvollzieher, Gläubigervertreter, Schuldner, Vertreter des Wohnungsamtes, Schlosser, Zeugen, ggf. Spedition) unmöglich sei, die vorgeschriebenen Abstands- und Hygienevorgaben einzuhalten. Zudem sei es nicht auszuschließen, dass die vorgenannten Beteiligten gar so genannten Risikogruppen zuzuordnen seien.

Beschluss des Gerichts:

Das Amtsgericht Fulda hält die Erinnerung für zulässig und begründet. Der Beschluss erfolgt ohne Anhörung des Räumungsschuldners. Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, die beantragte Zwangsvollstreckungsmaßnahme nicht alleine mit der angegebenen Begründung zu verweigern. Das Gericht verweist bei dem Beschluss auf die hessische Verordnung zur Beschränkung von sozialen Kontakten und des Betriebes von Einrichtungen von Angeboten aufgrund der Corona-Pandemie vom 07.05.2020 in der Fassung vom 15.06.2020, die ab 22.06.2020 gilt. Danach sind Aufenthalte im öffentlichen Raum u. a. von Gruppen von höchstens 10 Personen zulässig, bei Begegnungen mit anderen Personen ist ein Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten. Nach der Ausführung des Gerichtes gilt dieses Verbot gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 dieser Verordnung aber nicht für Zusammenkünfte von Personen, die u. a. aus beruflichen und dienstlichen Gründen unmittelbar zusammenarbeiten müssen, sowie für u. a. Gerichtsverhandlungen. Die Vollstreckungstätigkeit des Gerichtsvollziehers unterfalle der Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 dieser Verordnung, was dazu führe, dass der Gerichtsvollzieher nicht alleine unter Hinweis auf die vorgeschriebenen Maßnahmen ohne Auseinandersetzung mit dieser Vorschrift im Einzelnen eine Vollstreckungsmaßnahme ablehnen dürfe, weil die Verordnung ausdrücklich Ausnahmen von dem geregelten Kontaktverbot für erforderliches berufliches Zusammenarbeiten sowie für gerichtliche Verhandlungen in § 1 Abs. 1 zulasse. Dies diene insbesondere der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gerichte, was unerlässlich für das Funktionieren eines Rechtsstaates sei. Daher muss der Gerichtsvollzieher versuchen, die Räume unter Beachtung des Mindestabstandes durchzuführen, was nicht grundsätzlich und immer unmöglich sei. Sollte dies im Einzelfall nicht möglich sein, muss der Gerichtsvollzieher dafür Sorge tragen, dass geeignete Schutzmaßnahmen angeordnet werden. Auch die benannte Anzahl der bei der Räumung beteiligten Personen könne nicht dazu führen, dass die Vollstreckungshandlung nicht unter Beachtung der ab dem 22.06.2020 geltenden hessischen Vorschriften durchgeführt werden können. Selbst wenn bei einzelnen Personen zusätzliche Risikofaktoren bestünden, könne dem mit Maßnahmen begegnet werden, z. B. durch eine Vertretung. Zwischenzeitlich gäbe es zwar Entscheidungen u. a. zu einer Gewährung von Räumungsfristen oder zum Antrag auf Einstellung von Vollstreckungsmaßnahmen wegen Zugehörigkeit einer Risikogruppe (LG Berlin, 67. Zivilkammer, Beschluss vom 26.03.2020, 67 S 16/20; AG Frankfurt, Beschluss vom 08.04.2020, Az. 82 M 4390/20). Diese sind jedoch nicht anzuwenden, da es sich jeweils und Einzelfallentscheidungen handelt, die erforderliche Abwägung der gegenseitigen Interessen könne nur eine Frage des Einzelfalles sein. Der generelle Hinweis des Gerichtsvollziehers, wie hier vorliegend, auf die Anzahl der eventuell beteiligten Personen und das allgemeine Konfliktverhalten, reiche nicht aus, den Auftrag nicht durchzuführen.

Bewertung:

Die Entscheidung ist zu begrüßen und richtig. Während mehrerer Wochen und Monate ruhte mehr oder weniger das Rechtswesen, Gläubiger konnten selbst vollstreckbare Titel nicht mehr durchsetzen, weil entweder die Bearbeitung erst gar nicht erfolgte, oder wie hier, der Gerichtsvollzieher mit allgemeinen Hinweisen, insbesondere auf Hinweise des Berufsverbandes die Vollstreckung erst gar nicht ansetzten. Auch im Rechtswesen muss jedes Gericht, jeder Richter und so auch jeder Gerichtsvollzieher Sorge dafür tragen, dass das Rechtswesen insgesamt aufrechterhalten wird und dabei den Einzelfall genau prüfen und die gegenseitigen Interessen dabei abwägen.

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